18. Jän. 2019Gicht

Harnsäurespiegel: Ernährung trägt bei, Genetik ist Trumpf

Semen Salivanchuk/Gettyimages

Eine große Metastudie zeigt, dass Lebensmittel weniger Einfluss auf den Harnsäurespiegel haben als genetische Faktoren. Diese Erkenntnis könnte den Dialog mit Gichtpatienten verändern.

Hyperurikämie ist ein wichtiger Risikofaktor für Gicht. Der Zusammenhang zwischen kontinuierlich erhöhten Harnsäurespiegeln und der Ablagerung von Mononatrium-Urat-Kristallen in der Pathogenese der Erkrankung ist gut belegt.
Bestimmt wird der Harnsäurespiegel eines Menschen über das Gleichgewicht der Produktion der Harnsäure in der Leber und ihrer Ausscheidung über Darm und Niere. Dieses Gleichgewicht hängt sowohl von genetischen als auch Umweltfaktoren ab. Familien- und Zwillingsstudien legen eine Vererbbarkeit der Harnsäurespiegel von 25 bis 60 Prozent nahe.

Bereits seit Jahrhunderten ist zudem bekannt, dass die Gicht auch durch die Ernährung begünstigt werden kann. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert galt sie sogar als Symbol für Status und Wohlstand, da ein Übermaß an Alkohol oder üppigem Essen ausschließlich wohlhabenden Familien vorbehalten war.

Eine Metaanalyse1 an über 16.000 Teilnehmern stellt nun jedoch die Annahme, dass schlechte Ernährung für erhöhte Harnsäurespiegel verantwortlich ist, in Frage.

Genetische Einflüsse hauptverantwortlich

Die Studie, die Anfang Oktober im British Medical Journal (Impact Factor 23,3) erschienen ist, analysierte nicht nur den Einfluss einzelner Lebensmittel auf den Harnsäurespiegel, sondern verglich zusätzlich die relativen Auswirkungen von Ernährung und begünstigenden Genvarianten.1
Sie zeigt nun, dass sogar die Lebensmittel, die am stärksten mit einem Anstieg der Serumharnsäure in Verbindung gebracht werden, für weniger als ein Prozent der Abweichungen der Harnsäurewerte verantwortlich waren. Fast 24 Prozent der Harnsäureschwankungen waren hingegen durch genetische Einflüsse erklärbar.
„Unsere Resultate stellen die in Fachkreisen weit verbreitete Ansicht in Frage, dass die Hyperurikämie vor allem durch die Ernährung bedingt ist und zeigen, dass genetische Einflüsse die Hauptverantwortlichen für die Hyperurikämie bei Gesunden sind“, so Erstautorin Tanya J. Major, PhD und ihre Forschungskollegen von der University of Otago, Neuseeland, in ihrer Arbeit.

Majors Team führte eine Querschnittstudie durch, in der Daten zu Ernährungsgewohnheiten aus fünf amerikanischen Kohortenstudien analysiert wurden. Dabei wurde systematisch abgefragt, wie häufig die Teilnehmer bestimmte Lebensmittel zu sich nahmen. Die Metaanalyse schloss 16.760 erwachsene US-amerikanische Personen europäischer Herkunft (8.414 Männer und 8.346 Frauen) ein. Ausgeschlossen waren Patienten mit Gicht oder Nierenerkrankungen sowie Menschen, die harnsäuresenkende oder diuretische Medikamente einnahmen.

Primäre Ergebnisse waren die durchschnittlichen Serumharnsäurespiegel und Variationen des Serumharnsäurespiegels. Multivariate Analysen beinhalteten Serumharnsäure, Ernährungsgewohnheiten und mögliche Einflussfaktoren (Geschlecht, Alter, BMI, durchschnittliche tägliche Kalorienzufuhr, Bildung, Bewegung, Rauchen und menopausaler Status), sowie das Vorhandensein von 30 Genvarianten, die mit Erhöhungen der Harnsäure verbunden sind.

Ein Prozent Abweichung durch Lebensmittel

Wenig überraschend fand das Team Korrelationen der Serumharnsäurespiegel mit vielen Lebensmitteln. Sieben waren mit erhöhten Harnsäurespiegeln assoziiert, einschließlich Bier, „harte Getränke“, Kartoffeln und rotes Fleisch. Bier und harte Getränke erhöhten die Harnsäure dabei am stärksten: Bei einer Portion pro Woche wurde ein Anstieg der Serumharnsäure um 1,38µmol/L gemessen, bei einer Portion täglich betrug der Anstieg sogar 9,66µmol/L (0,16 mg/dL). Im Gegensatz dazu standen acht Nahrungsmittel, die mit niedrigeren Harnsäurespiegeln assoziiert waren, darunter Eier, Erdnüsse, und Magermilch.

Die insgesamt 14 Lebensmittel, die mit Serumharnsäureabweichungen in Zusammenhang gebracht werden konnten, erklärten jedoch nur 0,06-0,99 Prozent Abweichung; zusammengenommen waren das maximal 3,28 Prozent Abweichung. Bei einer Ausweitung der Analyse auf ein Scoring-System der Ernährung nach vier unterschiedlichen Diätrichtungen konnten diese ebenfalls nur kleine Abweichungen der Serumharnsäure erklären – insgesamt weniger als ein halbes Prozent (0,15-0,28%).

Im Gegensatz dazu hatten Genvarianten einen erheblich größeren Einfluss auf die Serumharnsäure. Die am stärksten assoziierte Einzelnukleotidvariante im SLC2A9-Gen war allein etwa für eine 4-prozentige Variation verantwortlich. Wenn das gesamte Genom berücksichtigt wurde, konnten Einzelnukleotid-Polymorphismen zusammengenommen insgesamt sogar 23,9 Prozent Abweichung der Serumharnstoffspiegel erklären.

„Gicht ist genetisch und kommt nicht von zu viel Bier“

In einem Editorial zur Publikation2 kritisieren die Arthritisforscher Lorraine Watson, PhD und Dr. Edward Roddy, von der britischen Keele University den sozialen Umgang mit Gichtpatienten: „Menschen mit Gicht haben häufig mit dem gesellschaftlichen Stigma zu kämpfen, dass ihre Erkrankung durch schlechte Ernährung und einen ungesunden Lebensstil verursacht wird, eine Ansicht, die sowohl unter medizinischem Fachpersonal als auch in Darstellungen in Laienmedien weit verbreitet ist. Infolgedessen haben Patienten mit Gicht häufig Hemmungen dagegen, um Hilfe zu bitten – aus Angst, dass sie nicht ernst genommen oder für ihre Lebensgewohnheiten verurteilt werden.“

Die Studie der Forschungsgruppe um Major liefert also wichtige Hinweise darauf, dass ein großer Anteil der Prädispositionen von Patienten zu einer Hyperurikämie und Gicht nicht veränderbar ist. Laut Watson und Roddy bieten die vorliegenden Erkenntnisse nun eine Möglichkeit, sich mit diesen Barrieren auseinanderzusetzen, um die Belastung dieser weit verbreiteten und einfach zu behandelnden Erkrankung zu senken. „Die Studie legt keine Evidenz dafür vor, dass die Leitlinien abgeändert werden sollten, die empfehlen, dass Patienten wenig Hochrisikolebensmittel konsumieren sollen. Sie hat aber breite Implikationen für Personen mit Gicht und jene, die sie pflegen.“

Obwohl die Studie an Gesunden durchgeführt wurde halten Watson und Roddy es unwahrscheinlich, dass der Grund für die Hyperurikämie in den untersuchten Populationen wesentlich von jenen mit klinisch ausgeprägter Gicht abweicht. Studienautorin Major plädiert für eine Erweiterung ihrer Analyse auch auf Patienten mit Gicht. „Wenn diese Ergebnisse einen ähnlichen Unterschied in der Größenordnung der Einflussfaktoren zeigen werde ich zukünftig auf die Frage „Ist Gicht genetisch?“ mit einem sehr klaren „Ja“ antworten. Gicht ist genetisch, und kommt nicht von zu viel Bier.“3

1 Major TJ et al., Evaluation of the diet wide contribution to serum urate levels: meta-analysis of population based cohorts. BMJ. 2018 Oct 10;363:k3951.

2 Watson L, Roddy E., The role of diet in serum urate concentration. BMJ. 2018 Oct 10;363:k4140. doi: 10.1136/bmj.k4140.

3 Tanya Major: Gout—is that genetic? The BMJ Opinion. 2018 Oct 10