Anna Sophie Bergmeister-Berghoff: „Empathie ist mir sehr wichtig“

Foto: Weilguni

Viel Gespür für die Patienten vereint mit großer Faszination für die Forschung – so charakterisiert Dr. Anna Sophie Bergmeister-Berghoff die wichtigsten Facetten der Onkologie. Sie selbst hat sich bewusst für die klinisch orientierte Tätigkeit entschieden. (CliniCum 5/19)

Sie haben sich schon während des Studiums für die Onkologie begeistert und auch Ihre Diplomarbeit darüber verfasst – warum?

Bergmeister-Berghoff: Eigentlich habe ich das Medizinstudium begonnen mit dem Ziel, Psychiaterin zu werden. Doch bereits am zweiten Studientag hörte ich eine Einführungsvorlesung der nunmehrigen Ärztlichen Direktorin des AKH Wien, Univ.-Prof. Dr. Gabriela Kornek. Es war faszinierend für mich zu spüren, wie sehr sie von ihrem Beruf als Onkologin fasziniert ist, sowohl von der Arbeit mit den Menschen als auch von der Biologie der Krebszelle. Sie zeigte uns an einer auf den ersten Blick tragischen Patientengeschichte, wie aus der Kenntnis biologischer Marker des Tumors die Therapieentscheidung gefällt wird. Von diesem Moment an wollte ich unbedingt Onkologin werden. In den folgenden Jahren habe ich mich dann immer wieder selbst gefragt: „Will ich das wirklich?“ und immer mehr Argumente dafür gefunden. Außerdem sind alle Onkologen zugleich Internisten, haben damit ein breites medizinisches Wissen und arbeiten mit einem großen Spektrum von Patientinnen und Patienten: Es gibt ganz junge genauso wie hochbetagte Krebspatienten und es gibt sehr schwer Kranke und jene, die in ihrer Lebensqualität vielleicht nur wenig betroffen sind.

In Ihrer Diplomarbeit haben Sie sich mit metastasiertem Brustkrebs auseinandergesetzt. Was bedeutete das für Sie als junge Frau?

Zunächst habe ich mit einer experimentellen Arbeit begonnen, habe mich aber dann sehr bewusst dafür entschieden, in der Klinik und nicht an der Maus zu arbeiten. Mit PD Dr. Rupert Bartsch als Betreuer habe ich dann über Trastuzumab gearbeitet, eine der ersten zielgerichteten Therapien – gewissermaßen bin ich also mit der Präzisionsmedizin aufgewachsen. Brustkrebs hat mich zudem persönlich stark angesprochen, da meine Mutter daran erkrankt war. Ich sage mir jedoch: Wenn wir in der Medizin weiterkommen wollen, dann brauchen wir motivierte Menschen, die nach Lösungen suchen – und als ein solcher sehe ich mich.

Gerade die Entwicklung zielgerichteter Therapien führt uns die rasante Entwicklung in der Onkologie vor Augen. Was ist für Sie die hervorstechendste Entwicklung, die Sie seit dem Studium miterlebt haben?

Das ist mit Sicherheit die Entwicklung der Immuntherapie, die für mich DAS Steckenpferd darstellt. Wenn wir lernen, das Immunsystem noch besser für die Tumorbehandlung zu benutzen, wird uns das enorm weiterbringen. Ich werde mich bestimmt noch Jahrzehnte mit diesem Thema beschäftigen.

Geben Sie uns einen praktischen Einblick in Ihre Forschungsarbeit?

Ganz konkret sitze ich oft am Mikroskop und schaue mir Gewebe-Präparate an. Ich hatte das Glück, für eineinhalb Jahre in der Neuropathologie arbeiten und dabei sehr viel über Krebszellen lernen zu können. Jetzt kann ich damit gut die Brücke zur Klinik schlagen, indem ich die Geschichte des Patienten mit dem Wissen um den Tumor vereine. Genau in diesem Forschungs-Dreieck zwischen Patient, Tumor und Therapieentwicklung arbeite ich und versuche herauszufinden, warum welcher Patient auf welche Therapie am besten ansprechen wird.

Sie haben schon vor mehr als einem Jahr darauf hingewiesen, dass die Immuntherapie in der Onkologie vieles erwarten lässt. Ist in Ihrem Bereich die Richtung seither klarer geworden?

Leider noch nicht. Beim Glioblastom warten wir aktuell auf die Resultate einer großen Studie zur Kombination der Immuntherapie mit Chemotherapie und Bestrahlung. Bei Melanompatienten mit Hirnmetastasen ohne Symptome deutet derzeit alles darauf hin, dass die Kombination sehr wirksam sein dürfte. Die Frage lautet nun, ob dies beim Glioblastom ebenso ist. Insgesamt gehen wir immer mehr in Richtung einer individualisierten Medizin und orientieren uns bei der Therapieentscheidung stark an den Charakteristika des Patienten und des Tumors – wenn wir auch damit noch sehr am Anfang stehen.

Wie beurteilen Sie mit Ihrer Auslandserfahrung die Situation der Onkologie in Österreich und speziell hier in Wien?

Obwohl ich am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg eine gute Stelle hatte, bin ich sehr bewusst nach Wien zurückgekommen: Gerade was den Standort Wien anbelangt, werden Sie international wenig Vergleichbares finden. Es gibt kaum ein Haus in Europa, das in der Onkologie eine derart gute Vernetzung verschiedenster Fachdisziplinen – von der Chirurgie über die Endokrinologie bis zur Pathologie – vorzuweisen hat. Das ist eine ganz große Chance, die wir vielleicht sogar noch besser nutzen könnten. Was die Arbeitsbedingungen und auch die Bezahlung betrifft, ist es in Deutschland sicherlich attraktiver. Außerdem ist es in Österreich viel schwieriger, eine gute Stelle zu bekommen. Hier braucht es mitunter schon ein dickes Fell und dennoch gibt es für mich keinen besseren Ort als Wien. Die Interdisziplinarität und Vernetzung hier ist einzigartig und ermöglicht, sowohl in der Klinik als auch in der Forschung innovative, neue Wege zu beschreiten.

Wie bewältigen Sie die Herausforderung, Klinik mit Forschung und Lehre zu vereinen?

Wir haben genau diese drei Standbeine und es ist mein Job, alle drei Aufgaben zu erfüllen und mir meinen Arbeitstag entsprechend zu organisieren. Das neue Arbeitszeitgesetz gibt uns da große Erleichterung und mein Vorgesetzter Univ.-Prof. Dr. Matthias Preusser steht voll und ganz zu einer Aufteilung zwischen diesen Bereichen.

Sie haben bereits eine Reihe wissenschaftlicher Erfolge vorzuweisen, gibt es noch Vorbilder für Sie?

Mein Chef und Mentor Prof. Preusser ist für mich ein großes Vorbild, vor allem weil er selbst klare Ziele und Werte verfolgt und diese an sein Team weitergibt. Ich suche auch ganz bewusst nach Frauen als Vorbilder, was mitunter gar nicht so einfach ist: Prof. Kornek als großartige Klinikerin und Wissenschafterin ist eine davon, ebenso Dr. Priscilla Brastianos, die als Neuroonkologin in Boston arbeitet.

Sie versuchen im Young Oncologists Committee der ESMO selbst Studenten für die Onkologie zu begeistern – wieso engagieren Sie sich auch in diesem Bereich so stark?

Ich vertrete Österreich in diesem Komitee, weise etwa in einer eigenen Sitzung beim Jahreskongress auf die Angebote der Summer School hin und halte Vorträge zum Thema „How to present a poster“. Dabei sage ich den Studierenden ganz klar: „Seid selbst fasziniert von euren Daten, wenn ihr vor dem eigenen Poster steht – dann werdet ihr andere genauso dafür interessieren und begeistern.“ Auch wenn es die Onkologie schwer hat bei Studierenden, vor allem wegen ihrer Assoziation mit dem Sterben, will ich zeigen, dass ich sie für das beste Fach der Welt halte! Leider gibt es im Medizinstudium kaum Platz, um Vorurteile auszuräumen. Dabei werden über 50 Prozent der Patienten mit onkologischen Diagnosen geheilt! Zudem ist die Onkologie ein Fach, in dem angesichts der rasanten Weiterentwicklung lebenslanges Lernen nicht ein KANN, sondern ein MUSS bedeutet. Wir haben die einmalige Chance, mit Patienten in einer ganz bestimmten, enorm wichtigen Phase ihres Lebens ganz eng zusammenzuarbeiten.

Welche „Soft Skills“ braucht es dafür nach Ihrer Ansicht?

Es braucht sicher ein gutes Maß an Psychohygiene, auch wenn jeder auf andere Art damit umgeht. Ich selbst versuche Tag für Tag zu den empathischen Onkologinnen und Onkologen zu gehören, das ist mir in meiner Praxis sehr wichtig. Um meine Möglichkeiten einer empathischen Praxis zu sichern, nehme ich regelmäßig an einer Balint-Gruppe teil, in der vor allem Internisten und Psychiater vertreten sind. Dort über die eigenen Belastungen zu sprechen kann viel von der Last nehmen. Ehrlicherweise braucht es in unserem Beruf auch immer wieder eine Supervision, um gut mit sich und den eigenen Ressourcen umzugehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

kurz & spontan

Ärztin bin ich geworden, … weil ich damit aufgewachsen bin und meinen als Landarzt tätigen Vater schon seit Kindheitstagen bei Hausbesuchen begleitet habe. Von ihm habe ich die Faszination für die Medizin und auch für alle zwischenmenschlichen Facetten des Arztberufes mitbekommen.

Der vermutlich größte Fortschritt in meinem Fachgebiet bis 2030 wird … die personalisierte Immuntherapie sein.

Meine Work-Life-Balance sichere ich durch … die Hilfe meiner Familie und meiner Freunde, von denen ich auch hin und wieder einmal „Anna, jetzt ist es genug“ zu hören bekomme. Da mein Mann selbst Arzt ist und wir ein „Dual Career Couple“ bilden, achten wir immer wieder darauf, uns gemeinsame Auszeiten zu gönnen.

Das nächste freie Wochenende verbringe ich … am Annaberg in Niederösterreich, wo unsere Familie ein Ferienhaus hat. Hier sind wir so oft es geht beim Wandern oder Mountainbiken anzutreffen.

Dieses Buch liegt auf meinem Nachttisch: Bis vor wenigen Tagen war es angesichts der Facharztprüfung noch die „Innere Medizin“ von Herold. Jetzt freue ich mich schon darauf, mit „Becoming“, der Autobiographie von Michelle Obama, anzufangen.

Oper oder Rockkonzert? Zuletzt gehört: Eher das Rockkonzert, auch wenn ich mit meiner Wiener Großmutter oft in der Oper war. Da mein Mann selbst Gitarre spielt und wir auch eine Band im Freundeskreis haben, höre ich oft Live-Musik. Natürlich gab es auch bei unserer Hochzeit Live-Musik.

Immun-Onkologin und Hobby-Historikerin

Dr. Anna Sophie Bergmeister-Berghoff, PhD, (Jahrgang 1987) stammt aus Bonn (D) und lebt auf eigenen Wunsch seit ihrem 15. Lebensjahr in Wien, der Heimat ihrer Mutter, wo sie auch 2011 das Medizinstudium abschloss. Die Anforderungen an den Arztberuf hatte sie seit Kindheitstagen miterlebt und ihren Vater, der als Landarzt in Deutschland arbeitete, oft auf Visiten begleitet. Bereits während des Medizinstudiums lag der Fokus von Bergmeister-Berghoff jedoch auf der Onkologie: So verfasste sie ihre Diplomarbeit über metastasierten Brustkrebs (Betreuer: Priv.-Doz. Dr. Rupert Bartsch) und arbeitete als „Postdoc“ drei Jahre lang am deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

Im vergangenen Jahr kehrte Bergmeister-Berghoff als „Senior Post Doctoral Fellow“ an die MedUni Wien zurück und arbeitet nun an der I. Medizinischen Universitätsklinik im Team von Univ.-Prof. Dr. Matthias Preusser im Bereich Immun-Onkologie bzw. an einem Forschungsprogramm zu Hirnmetastasen. Als Wissenschaftlerin hat die auf Immun-Onkologie spezialisierte Ärztin bereits mehr als 100 Publikationen vorzuweisen, bei 35 davon ist sie Erstautorin. Vorträge und Poster-Präsentationen hielt Bergmeister-Berghoff u.a. bei den Konferenzen der American Society of Clinical Oncology (ASCO) und der European Society of Medical Oncology (ESMO), wofür sie bereits mehrere Poster-Preise erhielt.

Zudem engagiert sich Bergmeister- Berghoff im ESMO Young Oncologists Committee. Ende April dieses Jahres absolvierte sie die Facharztprüfung Innere Medizin und arbeitet jetzt auf das Additivfach Hämato-Onkologie hin. Vor kurzem hat Bergmeister-Berghoff auch die Leitung des Arbeitsbereiches Translationale Forschung übernommen. Als ihr größtes Hobby bezeichnet Bergmeister-Berghoff Geschichte und hier speziell die Geschichte Wiens und der Habsburger. Besucher aus dem Ausland führt sie daher gerne in die Kapuzinergruft.