Das hat es früher nicht gegeben

Ja, die Zeit ist schon eine eigene. Schon zu Beginn des ersten Lockdowns gab es Artikel und Threads zum Thema: „Was hätten Sie vor Kurzem noch nicht gesagt? Welchen Satz hätten Sie vorher nie erwartet? Es tauchten Sätze wie „Mama, da vorne sind Menschen“ (Kind beim Spazierengehen), „Wozu ziehst du einen BH an?“ (Ehemann zur Gattin vor einer ihrer Videokonferenzen) oder „Darf ich das Weckerl beim Bäcker mit bloßen Händen entgegennehmen?“ (Kundin an ihre Apothekerin) auf.

Vektor-Cartoon-Illustration des schockierten Mannes, der gerade herausgefunden hat, dass seine Bar oder Kneipe geschlossen ist. Konzept der Alkoholsucht.
Zdenek Sasek

Mittlerweile gibt es ein eigenes Corona-Lexikon, aufbewahrt im Wien Museum. Worte wie „Lockdown“, „Abstand“, „Maßnahmen“, „Maske“, „Babyelefant“ sind natürlich ebenso vorhanden wie auch weniger gebräuchliche. Auch in der Apotheke könnten wir ein eigenes schreiben: „E-Card“, „Gratistest“, „Corona-Schnelltest“ gehören mittlerweile zu unserem Alltagsvokabular.

Apropos Apotheke: Es gibt auch Situationen, die hätten wir in dieser Form noch vor über einem Jahr nicht erlebt. Das Verschreiben von Rezepten direkt auf die E-Card ohne ärztlichen Kontakt mag zwar für die Zeit der Pandemie eine gewisse Erleichterung darstellen, birgt aber auch die Gefahr, dass PatientInnen gar nicht mehr zum Arzt gehen oder ihre Kontrolluntersuchungen wahrnehmen. So stellten wir unlängst fest, dass einer unserer Stammkunden schon vierzehn offene Einsätze hatte und keine Anstalten machte, diese einzulösen. Natürlich hatten mehrere KollegInnen ihm diese gewährt, da seine Medikation bekannt war, aber nun schoben wir ihm einen Riegel vor. Er verstand das aber. Im Gegensatz zu einer jungen Dame, die vor lauter Angst vor dem Virus wie gelähmt erschien und sich zu jedem menschlichen Kontakt überwinden musste. So hatte sie auf eigene Faust antibiotische dermatologische Akne-Gele recherchiert und sich eines von der Vorzimmerdame eines Arztes verschreiben lassen. Auf die wie nebenbei hingeworfene Frage ihrerseits an diese, ob so ein Gel auch bei vaginalen Infektionen wirke, hatte diese wohl geantwortet: „Ich glaub schon.“ Nun versuchte die Kundin, uns die Schuld in die Schuhe zu schieben, weil wir das Rezept expediert hatten. Sie kam mit der angebrochenen Packung zurück. Mit viel Einfühlungsvermögen (mir innerlich auf den Kopf greifend) konnte ich sie davon überzeugen, dass der Fehler nicht bei uns lag und sie wohl doch besser ihren Gynäkologen kontaktieren sollte.

Es gab zwei Wochen, in denen wir aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Zoll keine Gratistests geliefert bekamen. Die KundInnen verstanden das nur mäßig, und wir plapperten den ganzen Tag wie Papageien dieselbe Leier herunter. Originell war aber ein Kunde: Als ich ihm erklärte, dass wir derzeit keine Gratistests lagernd hätten, wir aber in Kürze wieder mit einer Lieferung rechnen würden, kniff er die Augenbrauen zusammen und murmelte mit verschwörerischer Stimme: „Geben Sie es einfach zu. Diese Gratistests gibt es gar nicht. Die waren nur ein PR-Gag, ein Fake!“ Noch bevor ich grinsen konnte, war er schon zur Tür hinaus.

Unsere Apotheke ist groß, und so können wir in zwei abgetrennten Räumen Corona-Schnelltests anbieten. Seit Kurzem bewerben wir dieses Angebot auch mit entsprechenden Aufklebern auf den Schaufenstern – und mit Schaufensterpuppen in Schutzanzügen. Begeistert kam unlängst ein Substitutionskunde hereingestürmt und fragte: „Was kostet der Anzug? Ich kaufe!“

Ganz kurz lief bei mir das Kopfkino ab: Anprobe im Umkleideraum, die Pharmazeutin als Modeberaterin …