Die Angst vor Kontrollverlust

Es ist eine eigenartige Zeit. Die meisten Menschen, die jünger als achtzig Jahre alt sind, sind nicht vertraut mit Situationen, in den man nicht planen oder einem gewohnten Alltag nachgehen kann – es sein denn, ein persönliches Schicksal wie eine Krankheit, ein Unfall oder Ähnliche haben von heute auf morgen alles auf den Kopf gestellt. Aber dass weltweit die nächste Zukunft nicht planbar ist, ist unserer Generation nicht vertraut.

Vektor-Cartoon-Illustration von zwei Männern, die für chirurgische Gesichtsmaske kämpfen. Konzept des Mangels an Schutzmasken auf dem Markt während der Coronavirus COVID-19-Epidemie
Zdenek Sasek

Das macht natürlich Angst, und das kann man zum Teil verstehen. Hier zeigen sich die Extreme: Auf der einen Seite die unverbesserlichen Optimisten, die fest daran glauben, dass schon bald wieder alles im Griff ist, auf der anderen Seite die LeugnerInnen jeglicher Realität, die sich täglich die Welt stricken, wie sie ihnen am besten gefällt, mit einfachsten Erklärungen. So musste ich mir unlängst auf Social Media von völlig unbekannten, unbedarften Menschen sagen lassen, Apotheken kriegten doch genau nichts mit von einer angespannten Corona-Situation, und wenn Intensivstationen „eh nur zu fünfzig Prozent“ voll seien, hieße das ja noch immer, dass die anderen fünfzig Prozent noch immer frei seien, so what? Staunend ob solcher Ignoranz kann man sich da nur ausklinken, sonst bekommt man ein Magengeschwür.

Dazwischen gibt es die breite Masse an Menschen, die natürlich auch verunsichert ist, aber trotzdem im Großen und Ganzen – Gott sei Dank! – mit Hausverstand gesegnet ist und kapiert hat, dass wir da nur gemeinsam durchkommen. Für ehrlich gemeinte Fragen, auch wenn sie im ersten Moment seltsam erscheinen mögen, sind wir immer offen und stehen mit unserer Expertise zur Verfügung. Manchmal aber wissen auch wir nicht gleich, worauf KundInnen hinauswollen.

So kam eines Tages eine besorgte Mutter eines Kindergartenkindes zu uns in die Apotheke, um einen Anterior-Nasenbohrertest für ihr Kleinkind zu kaufen. Kindergartenkinder werden ja bekanntlich noch immer nicht getestet, was schwer nachvollziehbar ist. Umso mehr freute ich mich über das Verantwortungsgefühl der jungen Frau. Sie ließ sich auch alles erklären von mir, dann aber stutzte sie plötzlich. „Haben Sie auch ein anderes Stäbchen?“, fragte sie mich ängstlich. „Wieso?“, fragte ich zurück. „Das ist das Stäbchen, das zum Test gehört, und es ist kurz, weich und biegsam.“ „Ja, aber es kommt doch aus China, oder?“ „Der ganze Test kommt aus China“, erwiderte ich, „die Zutaten sind aufeinander abgestimmt.“ „Ich möchte aber ein anderes Stäbchen“, beharrte die Frau. „Man kann nicht irgendein Stäbchen nehmen. Wenn Sie ein Wattestäbchen meinen, das saugt erstens das Sekret auf, und zweitens ist es unflexibel und könnte die zarte Nasenschleimhaut ihres Kindes verletzen. Wollen Sie das?“ „Aber ich weiß doch nicht, was da drauf ist!“, meinte sie. Ich muss sehr verständnislos drein geschaut haben, dann dämmerte es mir: Die Dame war dem Gerücht aufgesessen, das von irgendeiner Schwurblerseite aus viral gegangen war: „Lasst Eure Kinder nicht testen! Ihr wisst nicht, was ihnen in die Nase gesteckt wird! Ihre DNA wird gestohlen und benutzt!“ Ich konnte sie dann noch bei ihrer Ehre und Fürsorglichkeit als Mutter packen, sie nahm den Test, noch immer leicht skeptisch, aber doch überzeugt.

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