Tacheles reden

Ein Großteil unserer Arbeit besteht aus Reden. Reden an der Tara bedeutet nicht nur, über die einzunehmenden Medikamente zu beraten, sondern auch Fragen zu stellen, die eine oder andere private Geschichte zu kommentieren und sich mit einem guten Wort zu verabschieden.

Person oder Nachbar macht laute Geräusche mit Megaphon hinter der Wand, Vektor-Cartoon-Strichmännchen-Illustration
iStock/Zdenek Sasek

Gerade die hochwertige akademische Ausbildung sollte uns Anstoß sein, sowohl mit anderen AkademikerInnen als auch mit einfachen Menschen klar und verständlich zu sprechen. ApothekerInnen müssen einfach beides können. Sie sind PartnerInnen auf Augenhöhe mit MedizinerInnen und TherapeutInnen, aber eben auch mit ihren KundInnen, die aus allen möglichen sozialen Schichten kommen.

Manchmal ist es nötig, Tacheles zu reden. In Wien ist das immer noch ein sehr gebräuchlicher Ausdruck, aus dem Jiddischen kommend, für „umschweifend und ohne Beschönigung seine Meinung sagen“. Ist die Wissenschaft oft darauf angewiesen, die Worte „möglicherweise“, „es könnte“ oder „wahrscheinlich“ zu benutzen, so stehen uns hier oft eindeutigere Möglichkeiten zur Verfügung. Auch wenn er nicht falsch ist, so ruft ein alle Möglichkeiten beinhaltender Satz oft Verwirrung und Verunsicherung bei den KundInnen hervor.

Die jetzige Krisenzeit ist eine gute Gelegenheit, das zu üben. Seit Corona sind wir ja geschult in klaren Ansagen wie „Die Impfung wirkt“. Noch immer gibt es KundInnen wie jene, die mit ihrer Freundin zu uns kommt, um sich mit Vitaminpräparaten einzudecken. An der Zusammensetzung ihrer Wunschliste sehe ich schon, worum es geht.
„Was können wir noch gegen Corona tun?“
“Sind Sie geimpft?“, lautet meine Gegenfrage. „Nein, natürlich nicht“, kommt die empörte und verständnislose Antwort. „Eine Bekannte unseres Nachbarn ist nach der Impfung gestorben. Eine andere Freundin eines Arbeitskollegen hat seither Schmerzen im Knie.“
Ich versuche, die Augen nur innerlich zu verdrehen, und beschließe, Tacheles zu reden. „Das wird sicher nicht mit der Impfung zusammenhängen. Fürchten Sie sich besser vor der Krankheit, nicht vor der Impfung!“
„Wie meinen Sie das?“
„Genauso, wie ich es sage!“
Ich entlasse sie trotzdem mit dem Wunsch, gesund zu bleiben, aber es ist mir ein Rätsel, warum diese Fehlinformationen noch immer kursieren.

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