Medikationsanalyse: Der kardiometabolische Patient
MEDIKATIONSANALYSE – Teil 03 – Ein 66 Jahre alter Patient will nach einem Herzinfarkt eine Medikationsanalyse durchführen lassen. Er klagt, dass er seit kurzem Wasser in den Beinen hat und mit der Menge der verordneten Medikamente überfordert ist. Können Sie den Fall lösen?
Mit besonderem Dank an Dr. med. Hubert Wallner MBA LL.M.
LoginFallbeispiel
Ein 66 Jahre alter Patient kommt zu Ihnen in die Apotheke, um eine Medikationsanalyse durchführen zu lassen. Er erzählt Ihnen, dass er vor Kurzem einen Herzinfarkt erlitten habe und erst vor ein paar Wochen aus der Klinik entlassen worden sei. In weiterer Folge sei bei ihm eine Herzschwäche festgestellt worden. Seit dem letzten Klinikaufenthalt seien einige Medikamente hinzugekommen und der Patient deutet an, mehr und mehr mit der Menge an Medikamenten überfordert zu sein. Der Patient ist seit ca. fünf Jahren Nichtraucher und gibt an, keinen Alkohol zu konsumieren.
Seit einiger Zeit habe er Probleme mit Wasser in den Beinen, dafür hat er erst kürzlich von seinem Hausarzt ein Medikament erhalten. Seitdem muss er öfters auf die Toilette, besonders nachts, ein Umstand, der für den Patienten sehr belastend ist. Weiters berichtet er, seit einiger Zeit häufiger unter Sodbrennen zu leiden. Von der Medikationsanalyse erhofft er sich eine Besserung seiner Beschwerden und hofft allgemein, weniger Tabletten einnehmen zu müssen. Der Patient hat seine Medikamente und seinen aktuellen Entlassungsbrief mitgebracht.
Diagnosen
- STEMI-ACS (pPCI der LAD), Typ 1
- HFrEF NYHA II
- Arterielle Hypertonie
- Hypercholesterinämie
- Diabetes mellitus Typ 2 (HbA1c 7,3)
- Adipositas (BMI 27)
Dauermedikation
Metformin | 1000mg | 1-0-1 | |
Pioglitazon | 45mg | 1-0-0 | |
Ramipril | 10mg | 1-0-0 | |
Spironolacton | 25mg | 1-0-0 | |
Bisoprolol | 5mg | 1-0-0 | |
ASS | 100mg | 0-1-0 | |
Prasugrel | 10mg | 0-1-0 | (12 Monate) |
Atorvastatin | 20mg | 0-0-1 | |
Furosemid | 40mg | 1-0-1 |
Lerntext
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Österreich. Schätzungsweise 4.500 Menschen sterben jährlich an einem akuten oder rezidivierenden Myokardinfarkt. Die Koinzidenz von kardiovaskulären Erkrankungen, wie koronare Herzkrankheit, Schlaganfall oder Herzinsuffizienz, mit Diabetes ist hoch. Laut der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) hat jeder vierte Infarktpatient und fast die Hälfte der aufgrund von Herzinsuffizienz hospitalisierten Patienten Diabetes.
Patienten mit Diabetes haben im Vergleich zu Nicht-Diabetikern ein stark erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt und eine Herzinsuffizienz. Eine effektive, auf den individuellen Patienten abgestimmte Arzneimitteltherapie kann das Risiko für ein erneutes kardiovaskuläres Ereignis reduzieren.
Infolge einer perkutanen Koronarintervention mit Stenteinlage (PCI) nach einem Myokardinfarkt erhalten Patienten für eine begrenzte Zeit eine duale Antiplättchentherapie (DAPT). Diese besteht aus der Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS), welche normalerweise langfristig fortgeführt wird, in Kombination mit einem P2Y12-Antagonisten (Clopidogrel, Ticagrelor oder Prasugrel). Die Wahl des zweiten Thrombozytenaggregationshemmers sowie die Dauer der DAPT richtet sich nach dem individuellen kardiovaskulären sowie Blutungsrisiko eines Patienten. Unter Berücksichtigung eines erhöhten gastrointestinalen Blutungsrisikos unter einer DAPT wird eine Prophylaxe mit einem Protonenpumpeninhibitor empfohlen. Zusätzlich zur DAPT ist eine lipidsenkende Therapie, primär mit einem HMG-CoA-Reduktase-Hemmer (Statin), empfohlen. Entwickelt sich in Folge eines Infarktgeschehens eine Herzinsuffizienz wird zeitnah eine leitliniengerechte Therapie mit einem ACE-Hemmer, einem Betablocker und je nach Schweregrad einem Mineralkortikoidrezeptorantagonisten begonnen.
Die Basis jeder Diabetes Typ 2-Therapie bildet eine Veränderung des Lebensstils. Patienten sollten über die Relevanz einer gesunden Ernährung, sportlichen Betätigung, Rauchkarenz sowie einem angemessenen Alkoholkonsum informiert werden. In Abhängigkeit individueller Risikofaktoren und des Surrogatparameters HbA1c kann eine medikamentöse Therapie, primär mit Metformin, indiziert sein. Der HbA1c-Zielwert sollte individuell unter anderem unter Berücksichtigung der Lebenserwartung, Komorbiditäten, Risiko für Nebenwirkungen und mögliche Belastung durch die Therapie sowie des Patientenwunsches, festgelegt werden. Für die meisten Patienten wird ein HbA1c < 7% empfohlen, da unter diesem Wert von einem ausreichenden mikro- und makrovaskulären Schutz ausgegangen wird. Während bei jüngeren Patienten ohne kardiale Erkrankung und mit kurzer Diabetesdauer ein niedrigerer Wert angestrebt werden kann, werden bei älteren, gebrechlichen Patienten höhere Werte akzeptiert. Die initiale Therapie mit Metformin kann in weiterer Folge unter Berücksichtigung der Komorbiditäten des Patienten erweitert werden. Nach einem ersten Myokardinfarkt besteht bei Typ-2-Diabetes Patienten ein hohes Risiko für ein weiteres schweres kardiovaskuläres Ereignis. Bei Patienten mit einer manifesten kardiovaskulären Erkrankung wird demnach empfohlen, die Therapie um ein Antidiabetikum mit kardiovaskulärem Benefit zu erweitern. Aktuell existieren zwei Arzneimittelklassen, bei denen Vertreter relevante kardiovaskuläre Endpunkte in Studien reduzieren konnten, SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptor-Agonisten.
Pharmakologie – Antidiabetika
SGLT-2-Inhibitoren
SGLT-2-Inhibitoren (Gliflozine) erhöhen über die Hemmung des Natrium-Glukose-Co-Transporter-2 im proximalen Tubulus, verantwortlich für den Großteil der Glukose-Rückresorption, die renale Glukoseausscheidung und führen somit zu einer insulinunabhängigen Reduktion der Hyperglykämie (HbA1c-Senkung um 0,5-1%). Des Weiteren ergibt sich eine blutdrucksenkende und gewichtsreduzierende Wirkung, während das LDL-Cholesterin leicht (ca. 5%) ansteigen kann. Zusätzlich ergibt sich durch die glukosurische Wirkung ein diuretischer Effekt. Das Risiko für das Auftreten von Hypoglykämien ist ebenso wie bei Metformin oder einem GLP-1-Agonisten gering. Studien konnten eine Reduktion der Hospitalisierungen für Herzinsuffizienz sowie je nach Substanz eine Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte und/oder Mortalität zeigen. Die besten Nutzenbelege liegen derzeit für Empagliflozin vor, welches zusätzlich zu den kardiovaskulären Endpunkten (kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher Myokardinfarkt und nicht tödlicher Insult) die Gesamtmortalität senken konnte. Auf Basis dieser Ergebnisse werden SGLT-2-Inhibitoren in aktuellen Leitlinien neben GLP-1-Rezeptoragonisten bei Diabetespatienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung in Kombination mit Metformin empfohlen. Eine häufige Nebenwirkung von SGLT-2-Inhibitoren ist das Auftreten von genitalen Infektionen, insbesondere Mykosen. Selten treten bei Patienten mit Typ-2-Diabetes euglykämische Ketoazidosen (fehlender oder nur mäßiger Blutzuckeranstieg) auf, welche durch Infektionen, reduzierte Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr sowie einem verstärkten Alkoholkonsum begünstigt werden können. Die gemeinsame Gabe von Diuretika und SGLT-2-Inhibitoren sollte besonders bei älteren Patienten mit Vorsicht erfolgen, da aufgrund eines häufig reduzierten Trinkverhaltens, besonders bei eingeschränkter Nierenfunktion, das Risiko von Nebenwirkungen (z.B. Dehydratation, Synkope und Elektrolytstörungen) ansteigt. Eine sehr seltene, allerdings schwerwiegende Nebenwirkung ist eine nekrotisierende Fasziitis des Perineums (Fournier Gangrän).
GLP-1-Agonisten
Glucagon-like-Peptide-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-Agonisten) steigern die glukose-abhängige Insulinfreisetzung aus den Betazellen des Pankreas, hemmen die Glukagonfreisetzung und führen zu einer verzögerten Magenentleerung sowie Appetithemmung. Neben einer HbA1c-Reduktion (ca. 1-2%) wirken sie zusätzlich gewichtsreduzierend. Der überwiegende Teil der Vertreter dieser Wirkstoffgruppe wird als Injektion, je nach Wirkstoff einmal täglich bis einmal wöchentlich, verabreicht. Mit Semaglutid existiert seit einiger Zeit auch eine orale Formulierung, welche sich in Österreich allerdings nicht am Markt befindet. Die GLP-1-Agonisten Liraglutid, Dulaglutid und Semaglutid (s.c.) konnten in Studien eine Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte zeigen. Bei der Hospitalisierung für Herzinsuffizienz zeigte sich indes kein positiver Effekt gegenüber der Kontrollgruppe. Die besten Nutzenbelege liegen derzeit für Liraglutid mit Hinweisen auf eine geringere Gesamtmortalität vor. Der Einsatz von GLP-1-Agonisten wird durch strenge Erstattungskriterien in Österreich eingeschränkt. Häufige Nebenwirkungen von GLP-1-Agonisten sind gastrointestinale Störungen, insbesondere Übelkeit, welche gerade zu Beginn der Behandlung auftreten können und nach Tagen bis Wochen normalerweise abnehmen. Zudem ist die Anwendung mit einem Risiko für akute Pankreatiden assoziiert.
Metformin
Durch die Hemmung der Glukoneogenese und Senkung der Glukoseproduktion verbessert Metformin, ein Biguanid, die hepatische und periphere Insulinsensitivität. Metformin führt zu einer Senkung des HbA1c (ca. -1,5%) und wirkt gleichzeitig gewichtsreduzierend. Metformin gilt sowohl in nationalen als auch internationalen Leitlinien als empfohlene Erstlinientherapie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Besonders zu Beginn der Therapie können gastrointestinale Störungen (z.B. abdominelle Schmerzen, Diarrhö und Übelkeit) auftreten. Eine seltene, allerdings potenziell lebensbedrohliche Nebenwirkung ist die Laktatazidose. Diese Komplikation wird durch Risikofaktoren, wie z.B. ein akutes Nierenversagen, Sepsis, Alkoholismus sowie Leberzirrhose, begünstigt. Metformin sollte daher bei schwerer Erkrankung bzw. stark reduzierter Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme pausiert werden. Metformin ist bei Patienten mit einer schweren Niereninsuffizienz kontraindiziert und sollte bei einer dekompensierten Herzinsuffizienz nicht eingesetzt werden.
Pioglitazon
Pioglitazon gehört zur Gruppe der Thiazolidindione (Glitazone) und ist ein Ligand der nukleären Hormonrezeptorfamilie PPAR-ϒ, welcher die Expression verschiedener insulinempfindlicher Gene reguliert und darüber die Insulinsensitivität erhöht. Glitazone reduzieren in Abhängigkeit von Ausgangswert und Dosierung den HbA1c-Wert um etwa 1,5%. In Studien ergaben sich zwar vorsichtige Hinweise auf einen günstigen Effekt von Pioglitazon hinsichtlich zerebrovaskulärer Erkrankungen, diese standen allerdings dem verstärkten Auftreten ernstzunehmender Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Herzinsuffizienz, gegenüber. Dementsprechend wird Pioglitazon in Leitlinien anderen Antidiabetika nachgereiht. Als Nebenwirkung kann eine Gewichtszunahme sowie verstärkte Ödemneigung aufgrund von Flüssigkeitsretention auftreten. Aufgrund dieser Flüssigkeitsretention sind Glitazone bei Patienten mit Herzinsuffizienz kontraindiziert. Weiters wurde bei postmenopausalen Frauen eine Steigerung von Knochenbrüchen beobachtet. In einer großen französischen Kohortenstudie ergaben sich zudem Risikosignale für das Auftreten von Harnblasenkarzinomen.
Um den Inhalt zu sehen, müssen Sie sich einloggen oder kostenlos registrieren.
So profitieren Sie von Pharmaceutical-Tribune.at
- Apothekerfortbildung & MM-Kurse
- Beratungshilfe für Ihren Arbeitsalltag
- Aktuelle Fachartikel, State-of-the-Art-Beiträge, Experteninterviews
Melden Sie sich jetzt an & bleiben Sie top-informiert!
Um den Test zu absolvieren, müssen Sie sich einloggen oder kostenlos registrieren.
So profitieren Sie von Pharmaceutical-Tribune.at
- Apothekerfortbildung & MM-Kurse
- Beratungshilfe für Ihren Arbeitsalltag
- Aktuelle Fachartikel, State-of-the-Art-Beiträge, Experteninterviews
Melden Sie sich jetzt an & bleiben Sie top-informiert!